Neulich in einem meiner Lieblings-restaurants. Haben die doch vergessen, mir meinen Wein zu bringen! Trotzdem war der Service wieder absolut überzeugend... wie immer!
In unserer ländlichen Region sind Lokale spärlich gesät. Sie reduzieren sich auf die in quasi jedem Ort vertretene Pizzaria, wenige Schnitzelgasthäuser und eine Handvoll hochpreisige Slow-Food-Restaurants.
Viele haben an einigen Tagen geschlossen, denn auf dem Lande bleibt man abends eigentlich zuhause und kocht selbst. Ein Restaurant gibt es jedoch in unserer Nähe, in das man immer (außer natürlich am wohlverdienten Ruhetag) kommen kann - sofern man einen Platz findet. Denn das Restaurant ist immer gut besucht. Es ist die "sichere Bank" unter den hiesigen Restaurants: gutes Essen in immer gleichbleibende Qualität, faire Preise, sauber und gemütlich und immer, immer, immer freundlicher und schneller Service. Dieses Restaurant nennen hier alle nur den " Jugo" und ich werde in diesem Blog bestimmt noch häufig davon erzählen.
Kürzlich waren wir dort zu zweit essen. Ausnahmsweise waren nicht allzu viele Gäste dort. Vermutlich, weil wir erst gegen 21 Uhr an einem sehr heißen Tag dort auftauchten. Während wir schon das Essen ausgewählt hatten, konnte ich mich nicht gleich für das Getränk entschließen. Deswegen bat ich den Kellner, mir dafür noch etwas Zeit zu geben. Als er das nächste Mal am Tisch erschien, bestellte ich nachträglich ein Wasser und ein Glas Wein, das 6€ kosten sollte. Das nahm der wie immer freundliche junge Mann auf.
Am Tisch unterhielten wir uns ein bisschen und wie das so ist, dachte ich irgendwann zwischendurch, dass mein Wein jetzt langsam gern kommen dürfe. Aber da zu diesem Zeitpunkt seit meiner Bestellung nur einige Minuten vergangen waren, war ich noch weit davon entfernt, ungeduldig zu werden.
Kurz drauf kam die ebenfalls immer freundliche Kollegin des Kellners an den Tisch und brachte uns die Vorspeisen.
"Entschuldigung, ich hatte auch noch einen Wein bestellt. Ist der vielleicht vergessen worden?" fragte ich sehr höflich.
"Sie haben einen Wein bestellt???" fragte die Kellnerin entsetzt.
"Ja." Ich wunderte mich ein wenig über die heftige Reaktion.
"Der Kollege hat den Wein VERGESSEN???!!!"
Von der Betonung war es vergleichbar mit: Der Kollege hat Ihnen die Suppe auf den Schoß gegossen und sich nicht entschuldigt???
"Äh...ja...vielleicht hat er es vergessen." erwiderte ich etwas verunsichert. "Ich hatte aber erst nachträglich bestellt... ist wirklich nicht schlimm!"
"Moment!" sagte die Kellnerin.
Und dann:
Kam der junge Mann. Entschuldigte sich für das Versehen, als hätte er mir gerade einen Teller Suppe in den Schoß gegossen. Brachte das Wasser. Brachte den Wein. Und sagte: "Der Wein geht natürlich aufs Haus."
"Nein nein," wehrte ich ab, "alles nicht so schlimm. Ist gar kein Problem!" Ich hatte doch nur einmal nachfragen müssen nach dem Wein. Und ich hatte ja auch entgegen der üblichen Bestellroutine bestellt. Und ich hatte insgesamt vielleicht acht oder zehn Minuten warten müssen auf den Wein. In der Zeit ist in manchen anderen Lokalen noch gar kein Kellner am Tisch gewesen!
Am Ende kam die Rechnung über 24 €. Der Wein wurde nicht berechnet. Nur weil ich nicht sofort beliefert worden war. Ohne dass ich mich im Geringsten beschwert hatte. Wir haben dann das Trinkgeld aufgestockt, denn sonst wäre ich mir schäbig vorgekommen.
Aber DAS ist kundenfreundlich, oder?
Warum ich diesen Service meisterhaft fand:
- Ich habe Entschuldigungen erhalten, ohne mich überhaupt beschwert zu haben.
- Die Reaktion beider Mitarbeiter hat gezeigt, welchen hohen Anspruch sie selbst an ihren Service haben.
- Meine Erwartung war: Ich bekomme zeitnah meinen Wein gebracht. Doch im Restaurant ist man "die Extra-Meile" gegangen und hat meine Erwartungen übertroffen: Ich bekam den Wein umgehend und umsonst.
Meine Konsequenz als Kunde:
- Ich komme selbstverständlich sehr gern wieder.
- Ich erzähle im Freundes- und Bekanntenkreis davon.
- Ich empfehle das Lokal gern weiter.
Welche Knöpfe wurden hier beim Kunden gedrückt?
- Freundlichkeit: Freundlichkeit ist das A und O des Kundenservices und hat erheblichen Anteil daran, ob die restlichen Bemühungen gegenüber dem Kunden auch 'zünden'. Wodurch definiert sich Freundlichkeit? Laut Aristoteles ist es Liebenswürdigkeit, Interesse, Respekt. Ein gutes äußeres Kennzeichen ist ein Lächeln, das von Innen kommt. Damit bekommt der Gast das Gefühl, dass er willkommen ist, sein Anliegen vortragen darf und die bestmögliche Beratung erhalten kann, die die lächelnde Person zu bieten hat. Das ist schon einmal ein guter Anfang!
- Ehrgeiz: Kunden möchten für ihr Geld die bestmögliche Leistung. Es ist zwar schon zufriedenstellend, wenn die Erwartung erfüllt und die gewünschte Leistung erbracht wurde. Bekommt der Kunde aber das Gefühl, dass hierfür keine Anstrengung zu viel unternommen, sondern lediglich gelangweilt 'Dienst nach Vorschrift' abgeleistet wurde, kann das schnell zu Unzufriedenheit führen, wenn Kleinigkeiten einmal nicht stimmen. Zu sehen, dass die Bemühungen um den Kunden groß sind, dass man ihm kein bisschen vom Gegenwert seiner Bezahlung schuldig bleiben möchte und dass die Waagschale im Zweifel auf jeden Fall zu seinen Gunsten ausschlagen wird, gibt dem Kunden Zufriedenheit und Vertrauen.
- Die Extra-Meile: Die Extra-Meile ist es, was aus einem zufriedenen Kunden einen überzeugten, begeisterten Kunden macht. Wenn er Service und Leistung erhält, die seine Erwartungen nicht nur treffen, sondern übersteigen. Hierfür benötigt es einerseits den Ehrgeiz zu hervorragendem Service, andererseits aber auch Kreativität, Feingefühl und ein gutes Abschätzen der Auswirkungen. Extra-Meilen-Service-Erlebnisse sind die Erlebnisse, die Kunden gern weitererzählen und im Gedächtnis bleiben. Davon kann es nie genug geben.
Tipps zum Verwirklichen:
- Wer sich mit Kundenservice beschäftigt, dem ist klar, dass Freundlichkeit extrem wichtig ist. Im hektischen Alltag reagiert man dennoch manchmal gestresst. Trotzdem hat jeder Kunde ein Lächeln und einen kleinen Moment voller Aufmerksamkeit verdient, und das nicht nur, weil er uns bezahlt. Behalten wir das im Bewusstsein. Mir hilft es, kurz tief einzuatmen und mich auf den Kunden zu konzentrieren. Alles Weitere, zum Beispiel ob man den Kunden um etwas Geduld bittet oder sich später bei ihm melden wird, lässt sich dann ganz einfach besprechen.
- Wenn der Kunde unsere volle Aufmerksamkeit hat, erfassen wir recht gut, was der Kunde möchte. Aber ist das, was er sagt, wirklich immer das, was er möchte? Möchte er mehr? Möchte er eigentlich etwas anderes? Gibt es etwas, was er benötigen würde, aber nicht daran denkt, da er es nicht weiß? Wenn er Pommes bestellt, ja, dann möchte er sicher auch Pommes. Da braucht man nicht darüber zu diskutieren, ob er nicht lieber die Bratkartoffeln oder die veganen Nudeln hätte. Aber ob er Ketchup oder Mayo möchte, ist schon eine Frage wert. Und wenn wir dem Kunden ein Technik-Teil verkaufen, für das eine bestimmte Batterie benötigt wird, dann lassen wir ihn nicht nachhause gehen, ohne dass er darüber Bescheid weiß. Idealerweise haben wir die Batterie sogar in unserem Sortiment. - Wir tragen in unserer Position also auch ein bisschen Verantwortung und Fürsorgepflicht für den Kunden, der sich uns anvertraut hat. Wenn wir uns das verinnerlichen, finden wir früher oder später auch den Weg zur richtigen Extra-Meile.
Wie denken Sie darüber? Hatten Sie ähnliche Service-Erlebnisse?
Ich bin gespannt auf Ihren Kommentar!
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